Thiruvananthapuram


Wir haben die Aussprache des Namens der Hauptstadt von Kerala geübt. Oft geübt. Ein Freund hat auf Facebook berichtet, nach seiner Erfahrung sprechen die Menschen in Thiruvananthapuram Thiruvananthapuram schneller aus, als so manche Wiener:innen Wien. Und das stimmt. Oder wie es Vijeesh, unser Gastgeber auf Munroe Island, treffend ausdrückte: “Thiruvananthapuram is also for us a long name.” Der alte Kolonialname, der heute noch oft verwendet wird, ist etwas einfacher und kürzer: Trivandrum. Was ist nun von dieser Stadt zu berichten?

Beginnen wir so: Eva hatte, danke einer Freundin, der Germanistik Professorin Anna Babka, Kontakt zu Sreekumar, dem Leiter des Germanistik Instituts der Universität in Thriuvananthapuram, und hatte im Vorhinein bereits ausgemacht, dass wir einander sehen werden, mehr noch, dass wir aus unseren Romanen und Gedichtbänden lesen werden und kurzzeitig war sogar davon die Rede, dass Eva ein Keynote-Referat auf einer Konferenz halten soll. Die Konferenz wurde verschoben, sie wird es später irgendwann wohl online halten. Sreekumar war ein Mann, der sich sehr herzlich um uns kümmerte, wir machten mit ihm einen Abendausflug an den Strandort Kovalam, gingen gut Essen, er zeigte uns das Mega-Einkaufszentrum Lulu, das ein Superreicher Immobilien-Unternehmer, so ein Benkö-Typ, wobei ich jetzt nicht weiß, ob ihm ebenfalls kriminelle Machenschaften nachgewiesen worden sind, bauen hat lassen, und führte uns abends in eine Hotelbar um gemütlich zu essen und Bier zu trinken. Bier trinken, wie generell Alkohol trinken, ist in Kerala nur in Bars oder Restaurants möglich, die eine Lizenz dafür bezahlen. So tranken wir im Restaurant am Strand heimlich aus Kaffeehäferln unser Bier,  da dieser illegaler weiße Alkohol ausschank, die halbvolle Bierflasche stand in einem Sackerl neben einem Tischbein, wir fühlten uns, wie sich Kiffende in Österreich zuweilen fühlen - mit einer Selbstverständlichkeit führten wir etwas heimlich aus und genossen es.

Die Lesung am Germanistik Institut war ein großer Erfolg. Benennen wir es so, wie es war.  Alle Lehrpersonen und alle Studierende waren anwesend - also gut 15 Personen und wir lasen was das Zeug hielt und dann gab es Diskussionen, Interpretationen, Lob und Applaus und viel freundliches Gestikulieren. Nach der Lesung sprach uns ein junger Mann an und erzählte uns von seiner Sehnsucht nach Bratwurst und Sauerkraut. Er war als Kind mit seiner Familie nach Leipzig gezogen und verlebte dort seine ganze Jugend und ja, nach seinem Master wolle er wieder nach Leipzig gehen und seinen Doktor machen. Nach Deutschland gehen ist auch für Sreekumar ein großes Thema. Viele Menschen zieht es aus Südindien nach Deutschland oder Österreich - wobei: zieht es sie oder werden sie gezogen? Deutschland und Österreich brauchen dringend Pflegepersonal, medizinische Fachkräfte, brauchen IT Expert:innen und so weiter und wo sind diese zu finden? Natürlich in Südindien, dort wo es massenweise gut ausgebildete Arbeitskräfte gibt. Und was benötigen diese Menschen um in ein deutschsprachiges Land gehen zu können? Sprachkenntnisse! Besser noch ein zertifiziertes Sprachzeugnis von B1 oder B2. B1 ist übrigens für Österreich vollkommen ausreichend, denn fast die Hälfte der Österreicherinnen spricht, liest und schreibt auf diesem Sprachniveau. Jetzt kommt die Jackpotfrage: Welche Institution ist prädestiniert Sprachkenntnisse und zertifizierte Zeugnisse zu vergeben?

Genau: Die Universität, sprich das Germanistik Institut. Es ist auch ein Geschäft, wie sich generell um den Spracherwerb ein lukrativer Markt etabliert hat. Arbeitsvermittlungsfirmen und andere Unternehmen stehen bereits Schlange beim Institut, um Arbeitskräfte in Deutschkurse zu stecken oder Arbeitskräfte aus Deutschkursen abzuwerben.

Zurück zu Thriuvananthapuram. Sreekumar führte uns an einem Abend auch zum zukünftigen Institutsgebäude. Es liegt am Rande der Stadt, wir fahren eine vierspurige Stadtstraße  (bitte sich jetzt nicht die Tangente oder ähniches vorstellen) entlang, dort liegt auch das Einkaufszentrum, viele andere Hochhäuser und ein Teil des IT-Parks und dann geht's nach einiger Zeit irgendwann nach rechts und es zeigt sich ein riesiges Universtitätsgelände, mitten im Grünen, mit verschiedenen Bäumen, Bambus und Palmen, viele Gebäude stehen bereits, wo die Germanistik einmal stehen soll, ist noch Gstetten. Aber die frisch gepflanzten Bäume gedeihen bereits. Ob Eva hier in Zukunft einmal für eine Zeit lehren wird? Wer weiß!

Indien wächst, vor allem der Süden. Die Bevölkerungszahl, Indien hat mittlerweile China überholt und ist mit 1,4 Milliarden der Bevölkerungsreichste Staat der Welt, die Wirtschaft wächst, der Reichtum wächst, die Armut wächst, die Polarisierung wächst, die Städte wachsen, aber auch die Nationalparks und die IT-Parks schießen aus dem Boden. Nahe Thiruvananthapuram steht der erste, der in Indien gebaut wurde. Irgendwann in den 1990er Jahren. Es leben und arbeiten dort gut 25.000 Menschen hier der Link zu einem Imagevideo des IT-Parks, damit die Dimensionen ersichtlich werden, in denen in Indien gerechnet und gedacht wird.

Zurück zu Thriuvananthapuram. Die Stadt ist keine Schönheit. Viel Verkehr, noch mehr Gehupe - es gibt auch einen berühmten und besonderen Tempel, den Nichthinduist:innen nicht betreten dürfen, wir waren deshalb nur im Eingangsbereich und irgendwie auch gar nicht abgeneigt weiter zu gehen, doch als wir die Gässchen entlang gingen, bei diesem Gehupe und Gedränge, waren wir gar nicht so abgeneigt in zwei Bekleidungsgeschäften Zuflucht zu suchen. Das klingt jetzt recht unspektakulär, nur: Wer Eva kennt, weiß es, wer nicht, dieser Person soll gesagt sein: Einkaufen, shoppen gehört zu den zwei, drei Dingen, neben Autorennen Schauen und morgendliches Joggen, das Eva freiwillig NIE tun würde. Also shoppten wir - Hosen, Hemden und gingen dann wieder vollkommen entspannt und Einkaufstaschen schwenkend in Richtung Hotel. Unterwegs versuchte ich noch für mein altes Samsung S7 ein Case zu bekommen. Bei den Jungs in den Phone-Shops erntete ich reihenweise ein mitleidiges Lächeln oder jenen verrückten Blick, wenn man einem Freak verwundert begegnet. "Eyyhhh Samsung S7! Hey man, ES SEVEN!! That's very old!!" "But it still works." Nach dem siebten Geschäft fand ich ein Case, das zumindest der Größe nach passte.

Zurück zu Thriuvananthapuram. Gleich neben dem Hotel lag wohl die berühmteste Filiale der Indian Coffee House Kette. Dabei handelt es sich um eine von den Arbeiter(innen) verwaltete Cooperative, in der günstige Speisen und Getränke serviert werden. Das neben uns befand sich in einem roten, runden Turm, der aussah wie Tatlins “Monument für die Dritte Internationale”. Man stieg wie auf einer Wendeltreppe ohne Treppen, innen eine Schräge nach oben, außen befanden sich die Tische und Sitzbänke, die sich ebenfalls spiralförmig nach oben reihten. Man steigt also nach oben, von oben kommt früher oder später einer der vielen Kellner in weißer Kleidung und kuriosen Turban mit aufgestellten Stofffedern, meist ein Tablett balancierend einem entgegen oder einer der Gäste, deshalb empfiehlt es sich, hinauf außen und hinunter innen zu gehen, und sucht sich einfach einen freien Platz. Wir landeten meist nach zirka zwei Runden auf einem der Tische mit einer Nummer zwischen zehn und dreizehn. Das erste Mal war es Zufall. Das zweite, dritte und vierte Mal nicht mehr. Der Grund war, wir hatten einen unglaublich attraktiven und coolen Kellner gefunden. Leicht ruppig, aber nur auf den ersten Blick, leicht abweisend, aber dies ebenfalls nur auf den ersten Blick, distanziert und dennoch sehr aufmerksam und unterstützend bei der Auswahl der Speisen. Was in unserem Fall wirklich hilfreich war, denn wir bestellten meist auf gut Glück. Was machte den Kellner ansonsten so attraktiv? Ihm passte nicht nur die Uniform ausgezeichnet, und kurios war sie nur anfänglich für uns, recht bald erkannten wir, dass sie todschick war. Seine schlaksige Figur in dem weißen Overall, mit breiten roten Band um die Hüfte, seinem unglaublich coolen schwarzen Schnauzer der sich leicht um seine Mundwinkel bog und der weiße Turban, mit roter Porte und ebenfalls einer aufstehenden Stofffeder. Ein Mann ganz nach meinem Männlichkeitsideal. In diesem Indian Coffee House lernten wir auch eine junge Malayalam (also nicht Bollywood) Filmschauspielerin kennen. Sie und ihr Freund setzten sich zu uns an den Tisch, sie telefonierte zunächst verärgert und war anschließend den Tränen nahe. Bald darauf entspann sich ein Gespräch, das sie sichtlich aufmunterte und schließlich in eine Instagram und Facebook- Freundschaft mündete, sowie in einem Gruppenselfie mit vier grinsenden Gesichtern.

Das und so ungefähr ist und war Thriuvananthapuram.