Kannur

Nach Kochi ging es mit dem Zug weiter nordwärts in die Stadt Kannur. Wobei wir die Stadt dieses Mal mieden und gleich in unsere Unterkunft am Strand fuhren. In den folgenden Tagen verließen wir sie nur einmal. Dies hatte folgenden Grund: Das Guesthouse lag direkt am Meer auf einer kleinen Anhöhe. Über einen schmalen Steig hinunter, keine zwanzig Meter, gelangte man ans Wasser, jedoch - Problem - lagen hier riesige Felsbrocken und Steine, weshalb an Liegen oder Schwimmen nicht zu denken war. Deshalb mussten wir uns entscheiden: rechts oder links? - hundert Meter zum großen Sandstrand nach rechts oder ein paar Schritte zur kleinen privaten Bucht nach links?

Groß waren die Entscheidung, die uns an dieser Stunde quälte. Rechts oder Links? Planschen in der Bucht oder spazieren am Strand (an dem ansonsten niemand war)? Baden am Strand oder sitzen in der Bucht? Aber macht so eine Reise nicht auch unglaublich weise? So entschieden wir nach reifer Überlegung, zu Mittag auf die eine Seite und am Nachmittag auf die andere Seite zu gehen. Heureka!

Den Vormittag verbrachten wir im Zimmer und schrieben, wobei wir nicht direkt im Zimmer saßen, sondern meist im überdachten Eckbalkon, der mit einem Deewan (eine hohe Holzliege mit Gummimatte) und einer Holzbank mit Tischchen ausgestattet war und von dem man wunderbar das Meer überblicken konnte. Drinnen gab es auch einen Schreibtisch mit einem Fenster zum Balkon und vom Fenster neben dem Bett sah man ebenfalls auf das Meer. Gleich nach der Ankunft, als uns der Besitzer das Zimmer zeigte, ahnten wir, dass es sich hier wohl viele Wochen problemlos oder sogar sehr gut aushalten ließe und nicht nur die vier Tage, die wir einplanten. Wahrscheinlich würden wir uns so eine Unterkunft in Europa nicht leisten können. In Kerala ist es für uns möglich. 3.000 Rupien pro Nacht, das sind knapp über 30 Euro.

Nun zu dem einen Abend, an dem wir die Unterkunft für knapp zwei Stunden verließen:

Kannur ist bekannt für seine Theyyam-Aufführungen. Das sind rituelle Performances, die meist bei einem kleinen Dorfschrein aufgeführt werden. Tourist:innen sind willkommen, jedoch sind es keine Folkloreveranstaltungen. In Begleitung von rhythmischen Trommelschlägen gelangt ein maskierter und aufregend geschmückter Akteur in einen tranceähnlichen Zustand, wodurch er in die Rolle eines bösen Geistes oder Gottes schlüpfen kann. In der Folge wird dieser besänftigt oder es wird versucht, sein Wohlwollen für die Gemeinschaft zu erwirken. Genaueres darüber weiß ich auch nicht, aber das Internet ist voll mit Informationen und Videos darüber.

Die meisten Vorführungen finden nachts statt und dauern einige Stunden. Da uns zwei Uhr zu spät war, wurden wir am nächsten Tag zu einer früheren Vorführung kutschiert. Wie es sich herausstellte, dürfte es sich um eine Kinder- bzw. Elternveranstaltung gehandelt haben. Sie dauerte eine gute Stunde. Zu sehen war ein bemalter und geschminkter Mann, der mit Säbel, Bogen und Blumenschmuck auf dem Kopf, hin und her Schritt, im Kreis ging und Dinge tat, die so normal wie ungewöhnlich bis komisch waren. Sagen wir, er tanzte und führte dabei Handlungen aus, die genau vorgegeben waren, eben wie bei einem Ritual - drei Mal dort zupfen, ein Mal dieses Ding heben, zwei Mal umrühren und fünf Mal sich drehen, usw. Ich wurde einmal, wie zur Kommunion, aufgefordert, mich in eine Reihe zu stellen, bekam ein paar Blüten in die Hand gedrückt und als ich an der Reihe war, warf ich, wie die anderen Männer auch, die Blüten auf ihn. Dafür bekam ich ein Blättchen mit einer grauen Paste in die Hand gedrückt. Damit konnte ich mir einen Punkt auf die Stirn malen (das dritte Auge!), was ich dann auch tat. Jedoch aufgrund meiner hellen Haut war er kaum zu sehen. Eva bekam von einer Frau ebenfalls einen Punkt auf die Stirn gesetzt. Die anderen Besucher und Besucherinnen wirkten generell sehr entspannt, sie nickten und lächelten uns zu, später bekamen wir Tee und Nüsschen und irgendwann, als sich um ihn zwei Gruppen von Menschen bildeten, zu denen er sich abwechselnd zuneigte und mit ihnen sprach, war der Hauptakt vorbei. Was wir jedoch noch nicht wussten. Was nun folgte wirkte für uns, aufgrund seiner hohen Stimmlage und sein für uns ungewöhnliches bis komisches Agierens, als würde er in einer Phantasiesprache mit den einzelnen Personen sprechen. Und alle taten nur so, als mache es irgendeinen Sinn. Jedoch bin ich mir nicht sicher. Das Ritual hatte etwas durchaus Ernsthaftes, es war so unverkrampft “heilig”, dass ein Mann, der neben ihm in einer der Gruppen stand, einfach mal so telefonierte. Nachdem wir eine Spende gegeben hatten, saßen wir noch etwas und beobachteten die Szene, bis uns der Rickshaw-Fahrer zu verstehen gab, dass es Zeit war zu gehen.

Ähnlich war die Kathakali-Vorführung, die wir in Kochi besuchten. Was wir dort zu sehen bekamen, war eine Kurzfassung für Tourist:inenn. Eine richtige Vorführung kann sich über viele Stunden ziehen. Im Kathakali Theater wird nicht gesprochen. Kommuniziert wird mit Mimik und Gestik. Und das auf eine unglaublich vielfältige Art und Weise. Die Darsteller, es darf nur von Männer gespielt werden, sind auffallend geschminkt und maskiert. Dieses Prozedere, das eine gute Stunde dauerte, wurde auf der Bühne vorgeführt. Wir sahen dabei zu. Dann begann das Stück. Zunächst erklärte ein Mann, was wir sehen werden, was die einzelnen Gesten bedeuten und wie die einzelnen Emotionen und Gesten dargestellt werden. Dieser Mann fungierte anschließend auch als Erzähler in dem vorgeführten Stück, bei dem drei Figuren die Hauptrolle spielten. Der König, die Prinzessin und der Schwan. Der Erzähler führte singend in die jeweilige Szene ein und begleitete sich dabei mit einer Shruti-Box. Eine Trommel und ein Blasinstrument begleitete die Vorführung, während die drei Figuren mit den Augen rollten, hüpften und stampften, ihre Arme hoben, mit dem Kopf wackelten und ihre Finger drehten. Es handelte sich dabei um eine Liebesgeschichte, mit einem grandiosen Happy End!

 


Kathakali

Theyyam

Schreiben in Kannur